Salam aleikum!

Tja, dieses Jahr hat uns Fernweh schon vor dem Novemberdunkel erwischt. Alte Kyrgisen würden da kein gutes Zeichen sehen – „Der Winter wird lang, finster und kalt“ – würden die behaupten. Problem ist, dass wir Wärme und Leben vorher auch nicht in unsere Schenke bekommen. Wir sind noch nicht soweit.

Bevor Ihr es lest, beschafft Euch bitte einen altmodischen Atlas mit raschelnden Seiten – die Reise führt durch ganz Zentralasien.

Ziel des letzten heißen Sommers war der See Alaköl in den Himmlischen Bergen (Tien Schan) von Kyrgysstan in Zentralasien. Anders als in den Alpen führt da keine Seilbahn hin – die Fahrtkosten müssen die eigenen Beine übernehmen; und der Rücken – die Verpflegung und den guten Schlaf unter den sternvollen Himmel mitschleppen. Dafür aber dürfen wir die Natur egoistisch ohne andere Menschen genießen. Was soll ich Euch erzählen – das lieben wir und solange wir noch wandern können, werden wir das auch tun!

Nach drei Tagen mit Karakol-Bach bergauf, dann zum Alaköl, durch den Pass auf ca. 3900 m ü.M. und dann wieder runder bis Altyn Araschan hat man das Recht zu sagen: „Mein Gott! Die Welt ist so schrecklich schön!“

Alaköl, ca. 3550 m ü.M., ein Smaragd, in den sich die Himmlischen Berge bewundern können. Das feuerrote Drachen-Sturm Trikot des armen Wanderers fast nicht zu erkennen.

Ok – es gab Probleme. Am Pass war ich zu 99% sicher: „Ich geh nicht weiter – ist mir zu steil! Lieber drücke ich den Knopf „SOS“ auf dem Sattelitengerät und gehe keinen Schritt mehr nach vorne!“

Wenn man den o.g. Knopf in dieser Gegend gedrückt hätte, hätte sich für diese Gegend zuständige Herr Allah gemeldet:“ Mein Junge, du weißt doch, ich habe hier in Tien Schan keine Bergwacht zu Verfügung, also entweder gehst du weiter, oder bereite ich Dir ein Plätzchen bei mir daheim…“

Es gibt Argumente, mit denen sich schlecht diskutieren lässt…

Wanderers letzte Hilfe: die SOS-Taste

Nach guter Stunde bergrunter, mit Prellungen aber immer noch als eine ganze Einheit, habe ich eine Nachricht durch den Satteliten an die Dame meines Herzens geschickt : „In einer Stunde erreichen wir Zivilisation“ – Ich meinte damit: zwei Jurten, ca. 8 Pferde, vielleicht 40 Schafe, 3 Schäfer und 3 Hunde, die ich von oben gesehen habe; und in keinem Falle eine Telefonzelle.

Meine Frau hat mich dann den ganzen Abend per Mails in allen möglichen kyrgischen Gasthäuser gesucht. Gute Menschen gibt’s überall, also bekam sie beruhigende Antworten, dass in den Bergen kein Wlan vorhanden ist aber alles bestimmt gut wird…

In den zwei Jurten gabs Dosenbier und Snacks und dann am Ende des Wandertages – warme Quellen.

Es gab auch einen stillen Held dieser Geschichte – den von unserem Georgienkameraden Heiko aus einer US-amerikanischen Bierdose gebauten Spirituskocher Mod. HB 33; viel zuverlässiger als der ganze Sch… der touristischen Industrie. Ok – Heiko hat mehrere tausende Kilometer zu Fuß hinter sich und weiß, was ein Wanderer braucht; schade nur, dass er kein Bier trinkt 🙁

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Kyrgische Küche ist gewöhnungsbedürftig. Es gibt da freilich gute Schaschliks, Samsy, auch guten Weinbrand; aber bei Kurdak, nach mehrmaligen Versuchen, hat man den Eindruck, dass das älteste Schaf oder die älteste Kuh im Dorf geschlachtet wurde, zu einer gulaschähnlichen Masse zerkleinert und für ihre aller letzte Mission noch einmal in die Berge als Futter geschickt wurde. In den Bergen, wo es nichts gibt, wird doch alles aufgegessen. Fürs das gute Verdauen sorgt dann „Kymys“ – vergorene Stutenmilch mit immerhin 3% Alkoholinhalt.

Kurdak: Fleisch, Kartoffeln und alles was so den Weg zu den Topf findet.

Es gab, wie immer Ausnahmen – in unserem Hauptquartierort Karakol ziemlich mittig zwischen dem See Issyk Köl und den Himmlischen Bergen des Tien-Schans, in der Stadtmitte zwischen den Läden sehr heterogener Struktur versteckte sich ein Café…

Ich war skeptisch. Die wählerische Bedienung wusste nicht, ob dass hopfenarme, malzige Kirgisienbier „Arpa“ im Lokal noch vorrätig ist. Dann aber hat sich rausgestellt, dass der Koch seinen Job versteht: alles, was auf meinem Teller landete, war auf chinesische Art gegrilltes, knuspriges, saftiges Werk aus Gemüse, Rindfleischstreifen und dicker Sojasoße; und dazu noch Liebe zu dem, was man tut.

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In jedem postsowjetischen Ort suchen wir Lokale, die an die alten „Piw-Bars“ – einfache Bierstuben erinnern. Da triffst du Leute, wo man denkt: „Mein Gott – Du warst aber stockbesoffen, als Du diese Gesichter, in Deiner Gnade, geschnitzt hast!

In einem Piw-Bar ist das Bier immer noch günstiger, als in einem Lebensmittelgeschäft. Das bedeutet, dass es sich in einem solchen Lokal die Elite des Proletariats, aber auch des Lumpenproletariats sammelt. Authentischer geht’s nicht!

Das Piw-Bar mit eigener Brauerei in Karakol. Mit dem Slogan: “ Unser Bier ist so kalt, wie der Herz deiner Ex“ lockt das Lokal erfolgreich seine, meist männliche Gäste an; direkter Draht zum Kreml erst nach dem 5. Bier zur Verfügung.

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Zentralasien ist ungeheuerlich riesig. Du hast schon den Eindruck, dass Du Dich in der Weite verirren kannst. Der Plan war, außer Alaköl noch die alte Stadt Buchara auf der antiken Seidenstraße im heutigen Usbekistan zu sehen. Die ist doch in der Gegend – knappe 1600 km. Wir packten das an.

Von Karakol bis zur Hauptstadt Bischkek war nur ein Katzensprung, vielleicht gute 400 km – diesmal an der südlichen Küste des kyrgischen Meeres Issyk Köl. Der alten Tradition gemäß mussten wir mindestens eine Strecke mit dem typischen Transportmittel namens Marschrutka fahren – ein mehr oder weniger regulärer, dafür aber günstiger Linienkleinbus für Einheimische. Marschrutkafahrer sind meistens grobe Ochsen, rauchen eine Zigarette nach der anderen und spucken durch das offene Fenster gegen den Wind.

Taxifahrer sind aber ein ganz anderer Schlag: viel offener, meistens in Hosen ohne Löcher; können lächeln, auch wenn die keine Zähne mehr haben; und vor allem – sie können reden – oft ununterbrochen. La lingua franca in dem ganzen ehemaligen sowjetischen Reich bleibt immer noch Russisch – auch mir wurde die Sprache sehr erfolgreich in der Schule beigebracht. Jeder Chauffeur runzelte aus Mitleid seine Stirn, da die ganze schottische Ausbildung meines Sohnes hier für die Katz war; und fragte mich, ob ihm es leid tun, dass Keiner mit ihm reden kann…

Selbstverständlich, bevor man sich ins Taxi gesetzt hat, muss der Preis vereinbart werden. Die Rituale der Verhandlungen waren oft sehr dramatisch, als ob es zu einer Schlägerei kommen sollte. Man schreit da laut rum, mit viel theatraler Gestik und Mimik aber dann muss man sich doch einigen. Im Auto reden wir schon wie gute Freunde und verbschieden wir uns wie Brüder. Die Bezeichnung „Brat= Bruder“ ist ein Schlüsselwort, das fremde Menschen näher macht.

Höflichkeit verlangt, dass Dein Fahrer sich mit seinem Vornamen vorstellt und Du solltest dann mit demselben revanchieren. Im russischsprachigen Raum bin ich der „Tadik“, was in Kyrgysstan für Schwierigkeiten sorgen kann. „Nein – ich komme nicht aus Tadschikistan“ – musste ich immer schnell ergänzen.

Tadschiken, laut kyrgische Taxifahrer, sollen böse, hinterhältige und brutale (obwohl Brüder im Islam) Menschen sein; und in keinem Falle sollen wir nach Tadschikistan fahren – einmal mussten wir es sogar versprechen.

Turksprachige Völker wie Kyrgisen oder Usbeken verstehen sich mit den mit Persen verwandten Tadchiken nicht. Beide Seiten verwenden keinen Googleübersetzer sondern lieber Kalaschnikows.

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Problem in Asien sind nicht nur die Entfernungen, sondern auch die Grenzen. Ich versuchte dort immer zu erklären, dass es in Europa keine Grenzkontrollen gibt. Es hat mir aber Keiner zum Ende geglaubt: „Wie? Das muss doch alles geprüft werden! Sonst hätten wir nur Chaos und jeder fährt, wo er will!“

Keiner der Taxifahrer wollte uns durch die Grenze bringen: “ Die Grenzbeamter behandeln uns wie Tiere. In gutem Falle dauert es mit der Abfertigung ein Paar Stunden aber wenn wir Pech haben – ein Paar Tage„. Mit einem Taxi sind wir also immer nur bis zur Grenze gefahren und dann in das andere Land halt wie üblich zu Fuß.

Grenzkontrollen der alten DDR waren damals doch ein Zeichen die wahren Eleganz. Hier kamen die Fragen wie aus einer Makarow geschossen: „Was machst du hier? Wo warst du gestern? Wo willst du hin? Du hast kein Visum! Woher kannst du Russisch? Wie ist deine Telefonnummer? Warum ist dein Reisepass Deutsch aber dein Sohn ist Pole?“ Die raffinierteste Frage stellte aber der Grenzbeamter zwischen Kasachstan und Usbekistan: „Wann war es besser: zu sowjetischen Zeiten oder jetzt?“ Dann hat er mir mit seinen Putin-Augen, mit fast nicht erkennbaren Lächeln tief in meine Augen reingeschaut…

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Kyrgische Metropole Bischkek ist ein Dorf aus Beton – den Augen tut es Weh die grauen Blockhäuser zu sehen. Buchara ist eine STADT – mit dem Charme der alten Seidenstraße. Islamisch geprägt, aber als ich prächtige Weinfelder einige Kilometer vor der Stadt registrierte, dachte ich mir auch gleich: „Es sind nicht nur Tafeltrauben… Inschallah!“

Buchara: Respekt für die alten Meister – das sage ich: Tadik-aka, Fliesenleger

Dazu verwinkelte Gässchen wie in den Märchen von 1000 und einer Nacht, trinkbares Bier und Überraschung dieses Sommers: usbekischer Wein, den es schon eigentlich schon seit Jahrhunderten, wenn nicht seit Jahrtausenden da auch gibt. Ein Mensch braucht nicht viel, um glücklich zu sein…:-)

Ein wenig begeisterter Fan von Reis, Fleisch und Wachtelei – auf dem Teller Usbekistans Stolz: Plov

In Buchara waren wir wahrscheinlich im nettesten Hotelchen in Zentral Asien. Besonders der grauhaarige Opa sorgte immer, dass uns gut geht. Als er fragte, als welchem Land wir kommen, hat er gleich gesagt: „Wir sind eigentlich Nachbarn!“.

Und noch was: 90% der usbekischen Stadt Buchara sind Tadschiken. Gute Menschen gibt es überall und das hat wenig mit der Nationalität zu tun.


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